Ein Mobilitätsplan für Niedersachsen
Seit Langem fehlt in Niedersachsen ein Mobilitätsplan, der mit einem zukunftsfähigen engmaschig geknüpften Netz von Verkehrsangeboten den Mobilitätsbedürfnissen der Menschen im Land optimal gerecht wird: ein Kernnetz aus Schienenverbindungen und eine Verknüpfung mit dem Umweltverbund vor Ort.
Wir nehmen Verkehrsminister Lies beim Wort. Am 23. März 2023 sagte er im Landtag:
Auch im Jahr 2013 haben wir die Reaktivierung gewollt. Seinerzeit haben wir einzelne Strecken in den Blick genommen, die gut und sinnvoll wiedergenutzt werden müssen. Aber 2023 reden wir darüber, wie die Mobilität der Zukunft aussieht. Wir wissen, dass der öffentliche Personennahverkehr auf der Schiene und auf der Straße dabei eine ganz zentrale Rolle einnehmen und dass wir dafür die not- wendige Infrastruktur schaffen müssen. Es geht also nicht darum, die einzelne Strecke in den Blick zu nehmen, sondern wir müssen insgesamt betrachten: Wie sieht die Mobilität der Zukunft aus? Wie sieht die Mobilität in Niedersachsen im Jahr 2040 aus? Darauf müssen wir hinarbeiten, und jeder Baustein, den wir hier miteinander diskutieren und miteinander beschließen, muss dazu beitragen, dieses Bild eines Mobilitätskonzeptes 2040 für Niedersachsen zu entwickeln und zu verstetigen. (S. 61 Landtag 23. März 2023)
Schienenpersonennahverkehr
Das Kernnetz des Mobilitätsplans muss das Schienennetz sein. Ohne die Bündelung und Ausrichtung der zentralen Verkehrsbeziehungen auf die Schiene würden wir die Energieressourcen verschwenden, die in Zukunft knapp und teuer werden.
Im Mai 2024 hat die Landesnahverkehrsgesellschaft in Abstimmung mit den anderen beiden Aufgabenträgern des Landes einen Plan vorgelegt, mit welchem Betriebsprogramm welche bestehenden Strecken im Schienenpersonennahverkehr (SPNV) in den Jahren 2030 und 2040 betrieben werden sollen.
Zusätzlich soll der SPNV auf einigen Strecken wieder reaktiviert werden. Damit setzt die Landesregierung deutliche positive Akzente gegenüber früheren Landesregierungen.
Die Aktivitäten zur Ertüchtigung der Schieneninfrastruktur wirken jedoch etwas ziellos. Die wichtigsten Bezugspunkte sind die Aussichten auf Bundesförderung und die aktuell mögliche Nutzung der einzelnen Strecke innerhalb des bestehenden lückenhaften Schienennetzes. Güterverkehr wird dabei nicht berücksichtigt. Neubauvorhaben werden nicht in Betracht gezogen, schon eine Wiederinbetriebnahme gewidmeter Strecken scheitert in der Regel. Das ist kein strategisches Vorgehen.
Das Land sollte ein Zielnetz entwickeln, das der großen Mehrheit der Bevölkerung Alltagsmobilität auf Schienen ermöglicht. So sähe das entsprechende Vorgehen aus:
- Am Anfang steht die Bestandsaufnahme. Dabei wird flächendeckend der generelle Mobilitätsbedarf ermittelt und mit dem bestehenden Schienennetz verschnitten.
- Auf dieser Grundlage wird ein künftiges Schienennetz entworfen, das als Kernnetz die Hauptverkehrsströme abdeckt und insbesondere die zentralen Orte verbindet.
- Das Schienennetz des SPNV steht im Verbund mit Buslinien, Rad- und Fußwegen (s.u.) und ist mit dem Fernverkehr vertaktet. Auch auf den Hauptstrecken wird der Nahverkehrsbedarf bedient.
- Das Netz hält für Störungen und Sanierungen auf den Hauptstrecken Kapazitäten für Umleitungen in geeigneter Ausrüstung bereit.
- Es erfasst die örtliche Nachfrage durch Gewerbekunden und setzt die politischen Ziele zur Steigerung des Güterverkehrs um. In vielen Fällen bewirkt der Güterverkehr Investitionen auf Strecken, wo sie allein für den Personenverkehr nicht gerechtfertigt wären.
- Für die Erstellung des Netzes wird ein mehrjährig rollierender Landesfonds geschaffen, der im Verbund mit Bundesmitteln und anderen Förderungen die planvolle Umsetzung ermöglicht.
- Bestehende Strecken des Zielnetzes werden in jedem Fall erhalten. Wo noch oder wieder Schienenverkehr stattfindet, wird dieser aufrechterhalten. Das umfasst Linien- und touristische Verkehre sowie den Güterverkehr.
- Der erste Umsetzungsschritt kann im Wesentlichen aus der Reaktivierung des SPNV bestehen.
- In weiteren Schritten kommen verstärkt Ausbau und Neubau dazu.
- Wichtige Trassenabschnitte in Siedlungsbereiche hinein (z.B. Aurich) oder durch sie hindurch (z.B. Rinteln) werden in Normalspur ergänzt. Diese Abschnitte können nach der Betriebsordnung für Straßenbahnen (BOStrab) betrieben werden.
- Die Dringlichkeit einer Einzelmaßnahme für Neubau, Ausbau oder Ertüchtigung bemisst sich nicht an der Fahrgastprognose für die einzelne Strecke im Bestand, sondern an deren Beitrag zum künftigen Gesamtnetz.
Umweltverbund
Der Mobilitätsplan sollte über das Schienennetz hinaus sicherstellen, dass zentrale Orte, Erholungsbereiche und andere Punkte mit großem Verkehrsaufkommen gut per Bahn, Bus, Rad und zu Fuß erreicht werden, und dass auch das Schienennetz diesen Netzen Rechnung trägt. Das sähe so aus:
- Wichtige Verbindungen zwischen zentralen Orten, die auf der Schiene nur schwer oder erst später erstellt werden können, werden – ggf. nur bis zum Bau der Bahnstrecke – von überregionalen Buslinien bedient. Diese Linien werden unabhängig von den kommunalen Buslinien organisiert und verbinden ähnlich dem Schienenverkehr nur zentrale Orte auf direkter Linie.
- Der kommunale Nahverkehr mit Bus, Straßenbahn und S-Bahn bindet die Bahnhöfe und Haltepunkte des Kernnetzes an die Quell- und Zielbereiche an.
- Das Radwegenetz, insbesondere Radfernwege und Radschnellwege, wird bedarfsgerecht ausgebaut und an das Schienennetz angebunden. Für den Übergang auf die Bahn gibt es nah gelegene und sichere Abstellmöglichkeiten.
- Die Bahnhöfe und Haltepunkte sind direkt und barrierefrei fußläufig mit den Siedlungszentren und den Zielen des Nahverkehrs verbunden. Diese Wege werden nicht von Durchgangsstraßen behindert, verlängert oder umgeleitet (wie z.B. in Bad Zwischenahn).
- Die attraktiven Erholungsbereiche sind gut durch das Schienennetz und verknüpfte Fuß- und Wanderwege erschlossen. Haltepunkte sichern die Anbindung der Fernwanderwege an das Schienennetz.
Von diesem Ziel sind wir noch sehr weit entfernt. Niedersachsen hat bislang nicht einmal einen Plan, wie das Ziel aussehen soll. Mit dem SPNV-Konzept 2030/2040 hat die LNVG einen Plan vorgelegt, wie der Takt auf den dann betriebenen Linien aussehen soll – das dort dargestellte Netz umfasst allerdings nur die künftig zusätzlichen Strecken Soltau – Lüneburg, Stade – Bremervörde und Neuenhaus – Coevorden, und zum Mobilitätsplan fehlen neben dem Güterverkehr auch die Landesbuslinien, die Radschnellwege und die Fernwanderwege.