Niedersachsen lässt dringend notwendige Reaktivierung von Bahnstrecken schleifen
Eigentlich sind die Voraussetzungen für eine Reaktivierung gerade ideal, aber die niedersächsische Landesregierung lässt die Zeit für wichtige Maßnahmen ungenutzt verstreichen. Andere Bundesländer sind schneller.
In der Legislaturperiode 2013/2017 hatte das niedersächsische Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr mit dem damaligen Minister Olaf Liesdie Reaktivierung von Bahnstrecken in Angriff genommen und unter der wesentlichen Mitwirkung der Landesnahverkehrsgesellschaft ein entsprechendes Konzept entwickelt. Bei den Bahnstrecken, die dabei zum Zuge kamen, wurde die notwendige Sanierung der Infrastruktur „aus eigener Tasche“, nämlich der des Landes, finanziert. Allerdings wurden dann nur zwei Strecken tatsächlich reaktiviert. Das lag auch an der hohen Hürde der jetzt noch bundesweit gültigen Bewertungsmethodik, Standardisierte Bewertung genannt. In der jetzigen Form ist sie gedacht für den Neubau von Stadtbahnen in Ballungsräumen, nicht für die Reaktivierung von Bahnstrecken in ländlichen Gebieten.
Die Voraussetzungen für eine Reaktivierung haben sich mittlerweile grundlegend verändert. Denn inzwischen können Bahnstrecken auch über das Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz des Bundes reaktiviert werden und die Regionalisierungsmittel, aus denen der Betrieb der Bahnverkehre finanziert wird, sind durch den Bund ebenfalls erheblich aufgestockt worden. Eine Änderung der Standardisierten Bewertung durch den Bund ist zugesagt worden. Doch leider hat die Regierung der jetzigen Koalition weder eine Strategie noch ein Konzept zur Reaktivierung weiterer Bahnstrecken. Stattdessen wartet sie auf die Überarbeitung der Standardisierten Bewertung durch den Bund. Erst dann will sie tätig werden. Dadurch geht nicht nur wertvolle Zeit, sondern auch Geldmittel verloren.
Andere Bundesländer sind nämlich schneller und kommen voraussichtlich Niedersachsen bei der Ausschöpfung der Bundesmittel zuvor. In Baden-Württemberg z B. hat eine Nachfrageuntersuchung für 42 vom Land stillgelegte Bahnstrecken ergeben, dass 22 von ihnen mit einem Nachfragepotenzial von über 750 Personenkilometer pro Streckenkilometer (Pkm/km) in die Kategorie A und B, und immerhin noch 9 Strecken zwischen 750 und 500 Pkm/km in die Kategorie C eingestuft wurden. Für die Kategorien A und B sollen die Betriebskosten ganz und für die Kategorie C zu 60 Prozent übernommen werden, wenn die Kommunen 40 Prozent der Betriebskosten übernehmen.
Der weitere Weg ist in Baden-Württemberg jetzt folgendermaßen geplant: Auf die Nachfrageuntersuchung folgt eine Machbarkeitsstudie, deren Förderung von den Kommunen oder Verkehrsbünden beim Land beantragt werden kann und die 75 Prozent der Kosten beträgt. Sie gilt für die Strecken der Kategorie A, B und C. Und dann kommt die Standardisierte Bewertung, deren Überarbeitung für die Anpassung an die Bedingungen der ländlichen Räume in Angriff genommen wird.
Vorschlag um aufzuholen
Man könnte in Niedersachsen ein wenig der vertanen Zeit aufholen, indem man den Anliegerkommunen der 28 Bahnstrecken, die im Oktober 2013 vom damaligen Lenkungskreis für die 2. Verfahrensstufe der Reaktivierung zur Untersuchung vorgeschlagen wurden, die Förderung einer Machbarkeitsstudie anbietet. Das Ministerium müsste dann die notwendigen Inhalte der Machbarkeitsstudie festlegen.
Einige Landkreise haben sich schon in diese Richtung auf den Weg gemacht: Der Landkreis Bentheim mit der Verlängerung der Bahnstrecke von Neuhaus bis an die holländische Grenze und der Landkreis Lüneburg mit der Bahnstrecke Soltau-Lüneburg und Lüneburg-Bleckede. Weitere Landkreise werden wohl auch Machbarkeitsstudien anstreben. Sie alle haben die Aussicht, über eine reformierte Standardisierte Bewertung die Reaktivierung ihrer Bahnstrecken zu erreichen.
Ein wichtiger Beitrag zum Klimaschutz
Niedersachsen hätte einen schnellen Neustart in Sachen Reaktivierung jetzt nötiger denn je. Der Klimawandel ist eine der größten Bedrohungen für die Menschheit und ein zentraler Verursacher des klimaschädlichen CO2-Ausstoßes ist der Verkehr. In Deutschland ist er für ein Fünftel der gesamten Treibhausgas-Emissionen verantwortlich. Niedersachsen steht nur an vorletzter Stelle im Ranking der Bundesländer in Sachen Klimaschutz, das ermittelte jetzt das Forschungsinstitut Quotas im Auftrag von Allianz pro Schiene, dem Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) und dem Deutschen Verkehrssicherheitsrat (DVR). Andere Bundesländer sind Niedersachsen in Sachen Reaktivierung um Jahre voraus und werden die Bundesmittel in großem Stil abgreifen. Aber Niedersachsen war immer schon Stiefkind bei der Finanzierung von Bahnprojekten durch den Bund. Das muss sich zur Sicherung der Mobilität in der Fläche ändern.